KARL IVAR REFSETH TRIO

ABOUT

And there was silence over the oceans. When a voice came thundering from above.

Knapp sechs Jahre liegen zwischen Praying, dem Debütalbum des Trios um den Vibraphonisten Karl Ivar Refseth, und seinem neuen Werk Devotion. Eine selbst im Jazzumfeld recht lange Zeit, zumal die damalige, kontemplativ-intensive Produktion sehr erfolgreich war und von viel internationaler Resonanz begleitet wurde. „Eine staunenswerte Reise für die Sinne und Emotionen“, befand das Schweizer Radio SRF und der viel beachtete Blog Tor Hammerø konstatierte: „there’s a hidden Norwegian jazz-treasure in Berlin.“

Natürlich legte der in Klassik wie Jazz ausgebildete Vibraphonist Jahrgang 1977 nach Prayingnicht komplett die Schlegel beiseite. Eine Weile konzentrierte sich Refseth auf seine neue Vaterrolle, außerdem war und ist viel gefragter Sideman bei hochkarätigen Formationen. Seit 2009 gehört er zur festen Besetzung der Indierock-Vordenker The Notwist, in den letzten drei Jahren vor der Pandemie brillierte er auch bei Songschreiber Gisbert zu Knyphausen (auf dem Album Das Licht dieser Weltund live). Im innovativen Tied & Tickled Trio mit dem legendären US-Drummer Billy Hart setzten Refseths harmonische und rhythmische Kaskaden ebenso Akzente wie in den ersten Produktionen des avantgardistischen Andromeda Mega Express Orchestra. Zudem komponierte und spielte Refseth zusammen mit Console alias Martin Gretschmann für Andreas Ammers Hörspiel Gott; 2019 gaben die beiden auch Konzerte als Improv-Techno-Duo beim Berliner X-Jazz-Festival, in London und beim Montreux Jazzfestival. Ferner arbeitete Refseth wiederholt mit Saxophonist Johannes Enders.

Letztlich gaben vor allem zwei Umstände den Ausschlag für die längere Trio-Pause. Zum Einen lebte Kontrabassist Matthias Pichler drei Jahre in New York und war daher für eine neue Produktion und anschließende Tour nicht richtig greifbar. Da Refseth seine Gruppe als feste Band versteht, wartete er lieber ab, statt mit einem anderen Bassisten zu arbeiten. Zum Anderen betont der Komponist, der 2005 von Oslo nach Berlin umsiedelte, einen inhaltlichen Gesichtspunkt: „Ich möchte erst dann eine Platte rausbringen, wenn ich das Gefühl habe, dass sie über den Moment hinausreicht.“

Eine zeitlose Aura charakterisierte bereits das Trio-Debüt und durchzieht nun auch Devotion. „Die Musik ist vielschichtiger geworden, man kann darin mehrere Ebenen entdecken“, fasst Karl Ivar Refseth die Entwicklung zusammen. Entschiedener denn je leuchtet er selten gehörte Facetten seines Instruments aus, auch mithilfe erweiterter Anschlagstechniken. Er bringt die Metallplatten des Vibraphons mit Geigenbögen zum Schwingen, nutzt Schlagzeug- und andere Sticks, moduliert Töne durch spezielles „bending“ und erzeugt flirrende Obertöne. Zudem gewinnen Rhythmen an Bedeutung, exemplarisch bei Indecision, das von der besagten Zusammenarbeit mit Martin Gretschmann inspiriert ist.

Viele Stücke von Devotionerreichen erstmals die Ohren der Öffentlichkeit, einige andere waren früher schon Teil des Live-Repertoires. Ein verbindendes Element aller Titel ist Refseths Faible für lyrische Melodien, nuancierte Klangfarben und transparente Arrangements. „Anfangs hatte ich daran gedacht, die Songstrukturen diesmal mehr als Sprungbretter für freie Improvisationen zu nutzen“, erklärt Refseth. „Doch dann änderten wir, auch nach Absprache mit unserem Ko-Produzenten Morten Qvenild(Anm: Ex-Pianist von Jaga Jazzist, das Magical Orchestra von Susanna Wallumrød, Mitglied von In The Country, dem Slow Motion Quintet, Susanne Sundfør u.a.), die Richtung. Wir haben die Kerne der Songs fokussiert und ihnen die Improvisationen untergeordnet.“ Statt individueller solistischer Expressionen stehe jetzt eine übergreifende ästhetische Vorstellung im Zentrum, so Refseth. Damit greife er das bei Knyphausen erlebte Arbeitsprinzip auf, nämlich mit möglichst sparsamen Aufwand größere Intensität zu erzeugen. Auch Martin Ruchs Sound-Design transportiert diese Idee, indem es die intimen Klänge des Trios pointiert einfängt.

Der Großteil der jüngeren Stücke entstand während des ersten Lockdowns, trotzdem habe die Pandemie keinen direkten Einfluss hinterlassen, sagt Karl Ivar Refseth. „Vielmehr ist das ganze Album geprägt von Widmungen an Menschen, die mir besonders wichtig sind.“ Neben den bereits genannten gehört das japanische Duo Tenniscoats dazu, über dessen Song Tsuki No Otoer eine stimmungsvolle Variation geschrieben hat. Aus dem Geist der Widmungen heraus und zur Erweiterung der Vielfalt gelangten zwei Fremd-Kompositionen aufs Album. Christian Weidners sehr kontemplativer Augustchoralist sich schon seit einer Weile als Live-Duett der beiden Musiker im Repertoire. Das von Refseth alleine interpretierte O-4stammt aus Micha Achers Feder und vom legendären Notwist-Album Shrink, es verzaubert mit Acher-typischen Harmonien.

Eine unmittelbare Reaktion auf das Virus stellt Betrayaldar. „Es reflektiert die ernüchternde Erkenntnis, dass die Kunst zumindest eine Weile lang nicht die oft behauptete Wertschätzung erfahren hat“, erklärt Refseth. „Während uns Einnahmen in fünfstelliger Höhe weggebrochen sind und wir darüber rätselten, wie wir unsere Mieten bezahlen sollen, war die finanzielle Unterstützung vergleichsweise klein. Dadurch hat mich – ebenso wie andere Kolleg*innen – das Gefühl beschlichen, dass wir der Welt eigentlich doch relativ egal sind.“ Eine wesentlich erfreulichere Geschichte steckt dagegen hinter The Old Pike. „Ich habe geträumt, dass ich mit zwei Geschwistern in Norwegen Angeln war. Im Hintergrund lief diese Melodie als Dauerschleife – und es ist tatsächlich nicht das einzige Stück, dessen Grundzüge mir im Schlaf gekommen sind.“

Letztlich gab es aber auch einen überraschend positiven Corona-Effekt. Zweimal mussten bereits verabredete Termine im Traumton Studio wegen des Virus verschoben werden, was die Produktion erheblich in die Länge zog und zunächst die Stimmung eintrübte. Doch dann erkannte Refseth das Potenzial der ungeplanten Pausen. „Plötzlich hatte ich mehr Zeit und Freiräume, die Stücke noch mal in Details zu überarbeiten und über das Gesamtkonzept nachzudenken. So habe ich beispielsweise Cloud-Groovebis ins Studio hinein immer weiter verfeinert, ebenso hat Wise Manerheblich von den drei Arbeitsphasen profitiert.“

Mit Devotionpräsentiert Karl Ivar Refseth erneut ein herausragend atmosphärisches Album, das Genregrenzen hinter sich lässt. Zweifelloseint ihn und seine beiden sensiblen Bandpartner ein intellektuelles und emotionales Einverständnis, gemeinsam verleihen sie den Kompositionen ungewöhnliche Tiefe. Refseth legt Wert darauf, Devotionals eine dramaturgische Einheit zu verstehen und zu hören. Auch wenn das vielleicht nicht immer klappen mag, unterstreicht die Idee die in vieler Hinsicht bemerkenswerte Zeitlosigkeit der Musik.

LATEST RELEASES

AMEN3 min 2s

TOUR DATES

  • Nov12 DE-Berlin, Waldobar / solo
  • Nov17 DE-Werder, Duval / solo
  • Nov18 DE-Deggendorf, Cafe Holler / solo
  • Nov19 DE-München, Cafebar Mona / solo
  • Dec09 DE-Syke, Christuskirche

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